INNOVATION  

Die Dosis macht’s

Renais­sance einer alten Heil­pflanze: Als berau­schende Droge umstritten, kann medi­zi­nisch einge­setztes Cannabis vielen schwerst­kranken Pati­enten helfen. Der Schlüssel zur Symptom­lin­de­rung ohne gravie­rende Neben­wir­kungen ist die präzise Dosierung.

Die Belege für den thera­peu­ti­schen Nutzen von Cannabis sind erstaun­lich. Seine Wirk­stoffe, allen voran die Canna­bi­noide THC und CBD, lindern chro­ni­sche Schmerzen und Begleit­erscheinungen einer Chemo­the­rapie, helfen bei Spas­tiken und Entzün­dungen. Trotzdem kam das Hanf­ge­wächs als Arznei­mittel viele Jahr­zehnte gar nicht zum Einsatz oder erst dann, wenn alle anderen Medi­ka­mente nicht helfen konnten: denn es wurde in den meisten Ländern der Erde als Rausch­droge einge­stuft und war verboten.

Doch es hat ein Umdenken einge­setzt. Immer mehr Medi­ziner schätzen das thera­peu­ti­sche Poten­zial der Pflanze mit den wie Finger gespreizten Blät­tern. In Deutsch­land kann Cannabis als getrock­nete Blüten oder als Fertig­prä­parat seit dem Früh­jahr 2017 vom Arzt verordnet und über Apotheken bezogen werden. Eine eigene Behörde inner­halb des Bundes­in­sti­tuts für Arznei­mittel und Medi­zin­pro­dukte (BfArM), die Cannabis-Agentur, wacht über Import, Qualität, Abgabe und künftig den Anbau. Andere Länder wie Kanada sowie 28 Bundes­staaten der USA haben Cannabis für medi­zi­ni­sche Zwecke und teils sogar für den privaten Konsum schon viel früher freigegeben.

Perry Davidson, Gründer von Syqe, setzt auf die Verab­rei­chung von Cannabis in medi­zi­nisch kontrol­lier­barer Dosie­rung. Die ersten Serien des Inha­la­tors und seiner Version für Kliniken stammen aus dem 3D-Drucker.

Zu den Pionieren zählt Israel. Dort iden­ti­fi­zierten Wissen­schaftler um Professor Raphael Mechoulam als Erste die wich­tigsten Inhalts­stoffe von Cannabis und entdeckten auch das mensch­liche Canna­bi­noid-Rezep­tor­system. Heute erhalten weit über 25.000 Israelis ganz legal medi­zi­ni­schen Hanf, die Forschung wird vom Gesund­heits­mi­nis­te­rium unter­stützt. Das liegt nicht zuletzt am Enga­ge­ment von Perry Davidson: Der Gründer und CEO des Start-ups Syqe Medical aus Tel Aviv hat sich vorge­nommen, die Akzep­tanz von Cannabis als Thera­peu­tikum in der Öffent­lich­keit wie bei Pati­enten zu erhöhen. Er setzt dabei auf eine Verab­rei­chung in nied­rigst­mög­li­cher, repro­du­zierbar exakter und medi­zi­nisch kontrol­lier­barer Dosie­rung, möglichst ohne beein­träch­ti­gende psycho­ak­tive Effekte.

Effek­tive Inhalation

Der wirk­samste Verab­rei­chungsweg für Medi­zinal-­Can­nabis ist die Inha­la­tion. Studien belegen, dass mit dem Syqe-Inha­lator eine drei­fach höhere Menge an THC frei­ge­setzt wird als durch Rauchen.

Cannabis und seine Wirkung

Die Cannabis-Pflanze (Cannabis indica bezie­hungs­weise sativa), ein Hanf­ge­wächs, ist reich an Inhalts­stoffen, darunter über 100 Canna­bi­noide. Am bedeut­samsten sind Delta-9-Tetra­hy­dro­can­na­binol (THC, Drona­binol) und Canna­bi­diol (CBD), deren Gehalt je nach Züch­tung bis zu 20 Prozent beträgt. Nutz- und Faser­hanf enthält ledig­lich Spuren davon. THC wirkt über körper­ei­gene Empfangs­struk­turen (Rezep­toren) auf das Nerven­system und verän­dert die Wahr­neh­mung sowie die Schmerz­empfindlichkeit. Das nicht psycho­trope CBD wirkt unter anderem appe­tit­stei­gernd und tumor­hem­mend. Das Rohma­te­rial für die Droge Cannabis liefern allein die weib­li­chen Pflanzen. Getrock­nete Blüten werden auch als Mari­huana bezeichnet, ihr öliges Harz als Haschisch. In der Pflanze liegen THC und CBD als Säuren vor, die erst durch Erhitzen in die phar­ma­ko­lo­gisch wirk­samen Formen um­gewandelt werden. Cannabis-Extrakte sowie synthe­tisch herge­stelltes THC und CBD sind auch als Arznei­mit­tel­-Fertig­prä­pa­rate (Tropfen, Mund­­spray, Kapseln) erhältlich.

Smarter Dosier­in­ha­lator

Syqe Medical hat deshalb einen intel­li­genten Aerosol-Inha­lator entwi­ckelt. Dieser kann die Wirk­stoff­ab­gabe in 100-Mikro­­gramm-Schritten elek­tro­nisch steuern und alle rele­vanten Daten über eine App via Smart­phone zum behan­delnden Arzt schi­cken. Die ersten Serien des Inha­la­tors werden bei Syqe mittels eines 3D-Druckers herge­stellt. Sie enthalten ein Wech­sel­ma­gazin mit 75 Einzel­dosen à 10 bis 15 Milli­gramm Cannabis in streng kontrol­lierter Qualität. Während des Inha­la­ti­ons­vor­gangs werden die getrock­neten Blüten erhitzt, sie verbrennen aber nicht; die flüch­tigen Inhalts­stoffe verdampfen. Anders als bei der oralen Einnahme tritt die schmerz­stil­lende, entspan­nende Wirkung beim Inha­lieren bereits nach wenigen Minuten ein.

Als Tech­no­lo­gie­partner zur Mikro­dosie­rung von Cannabis in die Kartu­schen entschied sich Perry Davidson für Harro ­Höfliger. „Die Verab­rei­chung von unbe­han­deltem Pflan­zen­ma­te­rial über einen Dosier­in­ha­lator ist eine ganz spezi­elle Heraus­for­de­rung ohne viele Erfah­rungs­werte“, betont er. „Bei unserer Recherche stießen wir schnell auf Harro Höfliger. Dessen viel­fäl­tige Dosier­sys­teme und maßgeb­liche Erfah­rung mit außer­ge­wöhn­li­chen Inha­la­ti­ons­pro­jekten haben uns voll über­zeugt. Seit Anfang 2016 arbeiten wir erfolg­reich zusammen.“

Über­zeugt hat Davidson auch der Ideen­reichtum, den die Spezia­listen von Harro Höfliger bei den ersten Dosier­ver­suchs­reihen an den Tag legten. Weil das Test-Cannabis noch auf dem Versandweg war, verwen­deten sie kurzer­hand völlig legal erhält­li­chen, fein gemah­lenen Nutzhanf.

Über Syqe

Syqe Medical in Tel Aviv entwi­ckelt mit einem inter­diszipli­nären Team aus Elektro- und Maschi­nenbau-Inge­nieuren, Chemi­kern, Biologen, Ärzten und Phar­ma­ko­logen medi­zi­ni­sche Darrei­chungs­formen für Cannabis und andere Heil­pflanzen. Das Unter­nehmen wurde von Perry Davidson 2011 gegründet.

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Fotos: Eyal Izhar, Syqe Medical