Ein unbeschwertes Essen mit Freunden, ein Feierabendumtrunk mit Häppchen, ein schneller Stopp beim Imbiss: Für die Meisten eine Selbstverständlichkeit. Für Typ 2 Diabetes-Patienten, die neben langwirkendem Basalinsulin zusätzlich auf kurzwirksames Mahlzeiteninsulin angewiesen sind, oft eine Herausforderung. Speziell für diese Patienten soll das neuartige Mahlzeiten-Insulin-Patch CeQur Simplicity™ das Leben künftig einfacher machen. Es ist dünn und unter der Kleidung nicht zu sehen. Es ist leicht, kaum zu spüren und einmal am Körper angebracht, bleibt es sicher und diskret bis zu drei Tagen an Ort und Stelle. Beim Essen genügt ein kurzer Klick und zwei Einheiten schnell wirkendes Insulin gelangen über eine weiche, flexible Kanüle schmerzfrei in den Körper.
„Allein in den USA gibt es rund 27 Millionen Menschen mit diagnostiziertem Diabetes.“ Douglas Gunthardt,
Executive Vice President, CeQur
Der Zwei-Knopf-Dosiermechanismus verhindert eine versehentliche Abgabe des Medikaments und ein hör- und spürbares „Klick“ gibt dem Träger die Sicherheit, dass er die Dosis korrekt verabreicht hat. „Dieses Device ist einzigartig. Es gibt auf dem Markt nichts Vergleichbares“, schwärmt Douglas Gunthardt, Executive Vice President bei CeQur. „Und es ist so einfach zu handhaben, dass Patienten innerhalb weniger Minuten damit umgehen können.“
Stopp auf der Zielgeraden
Die Idee zu dieser richtungsweisenden Lösung gibt es schon lange. Ursprünglich von einem Start-up entwickelt, übernimmt ein Global Player aus dem Gesundheitssektor im Jahr 2012 dieses kleine Unternehmen und investiert in die fertigungstaugliche Gestaltung des Device (Design for Manufacturing). Er führt auch mit 278 Patienten einen der damals umfangreichsten klinischen Tests für ein Diabetesprodukt durch. Nach der FDA-Zulassung beauftragt das Unternehmen Harro Höfliger mit dem Bau einer semi-automatischen Pilot-Fertigungsanlage.
In Puerto Rico installiert der Konzern die Pilotline, welche Devices für bis zu 10.000 Patienten produzieren kann. Eine High-Volume-Linie für die Versorgung von 80.000 Patienten ist bei Harro Höfliger und einem zweiten beteiligten Maschinenbauer schon im Aufbau, als sich der Auftraggeber 2018 entscheidet, sich von seiner Diabetes-Medizintechnik-Sparte zu trennen. Das Projekt kommt zum Stillstand und die gigantische, fast fertiggestellte Anlage wird erst einmal in den Dornröschenschlaf versetzt.
Neue Hoffnung für Millionen
CeQur, ein 2008 gegründetes Start-up mit Sitz in Horw, Schweiz, erkennt die Chance, die das Patch bietet, und sichert sich Mitte 2018 die weltweite Lizenz für das Produkt. „Ein Blick auf die Zahlen in den USA zeigt, welches Potenzial in dieser Lösung steckt“, erklärt Douglas Gunthardt: „Allein in den USA gibt es rund 27 Millionen Menschen mit diagnostiziertem Diabetes, Tendenz steigend. Circa 24,5 Millionen leiden unter Diabetes Typ 2 und rund fünf Millionen müssen ihrem Körper zusätzlich zum Basal- auch Mahlzeiteninsulin zuführen.“ Als Bradley Paddock Mitte 2019 als Geschäftsführer zu CeQur stößt, konzentriert er schnell alle Anstrengungen darauf, dieses Produkt auf den Markt zu bringen.
Aber auch psychologische Gründe sprechen für Simplicity™, wie CeQur das Patch nennt. „Anders als bei Typ 1-Patienten, die aufgrund einer genetischen Veranlagung oder einer Erkrankung selbst kein Insulin erzeugen können, kann die Ursache bei Typ 2-Patienten neben erblicher Veranlagung auch in ungesunder Ernährung, Übergewicht und Bewegungsmangel liegen“, erklärt Gunthardt und fährt fort: „Diesen Patienten fällt ein offener Umgang mit ihrer Krankheit oft schwer. Das Tragen einer Pumpe oder das Hantieren mit Spritzen und Pens bei der Einnahme von Mahlzeiten stößt bei den Betroffenen daher häufig auf Skepsis und Ablehnung.“
Die Folge: Über die Hälfte der Patienten räumt ein, dass sie Insulindosen regelmäßig aus unterschiedlichen Gründen ausfallen lassen, was zu schweren gesundheitlichen Komplikationen führen kann. „Diese Lücke füllt Simplicity™. Es ist so diskret, dass sich Patienten schnell damit arrangieren“, sagt Gunthardt. Schon beim Pilotlaunch von CeQur Simplicity™ in drei US-Bundesstaaten zeigten sich 95 Prozent der Nutzer sehr zufrieden mit dem Patch und 93 Prozent verwenden es lieber als Pens oder Spritzen.
Eine Produktionsanlage der Superlative
2021 gibt CeQur Harro Höfliger grünes Licht für die Fertigstellung der eingelagerten, voll automatisierten High-Volume-Anlage. Sie umfasst 30 Maschinen im Verbund. 28 davon kommen von Harro Höfliger, eine Blisterform- und Stanzmaschine sowie eine Maschine zur Dichtheitsprüfung stammen von zwei befreundeten Unternehmen.
„Eine Besonderheit der Linie ist neben der Größe ein intelligentes Förderbandsystem“, erklärt Gunthardt. „Es befördert die Werkstückträger mit zwei Metern pro Sekunde durch die Anlage und ermöglicht die Produktion von bis zu 40 Devices pro Minute.“ Die 30 Maschinen sind durch eine Förderstrecke von über 260 m verbunden, auf der 200 Werkstückträger individuell angesteuert und bearbeitet werden.
„Da ist in jeder Hinsicht Präzision gefragt“, sagt Gunthardt und ergänzt: „Jedes Device besteht aus 39 Einzelkomponenten. Die Zuführung der einzelnen Komponenten sowie die Logistik und Positionsgenauigkeit der Werkstückträger waren nur einige der Herausforderungen, die Harro-Höfliger-Experten mit Bravour gemeistert haben.“
Einige der Prozesse sind bewusst redundant umgesetzt, damit die Anlage während eines teilweisen Ausfalls oder bei Wartungsarbeiten weiterproduzieren kann. Zusätzlich sind Leerstellen vorgesehen, um die Linie auf 80 Devices pro Minute erweitern zu können.
Ein anspruchsvoller Umzug
Nicht ohne ist auch das Handling der Giga-Anlage: Die erste Validierung und Inbetriebnahme erfolgte am Harro-Höfliger-Produktionsstandort Satteldorf. Im nächsten Schritt wird die komplette Anlage auseinandergebaut und in die USA verschifft. Am CeQur-Produktionsstandort in Columbia, South Carolina wird der Maschinenverbund wieder aufgebaut und nach erneuter Validierung voraussichtlich Anfang 2023 in Betrieb genommen.
„Das Ganze ist ohne Partner wie Harro Höfliger gar nicht machbar“, sagt Douglas Gunthardt und bekräftigt: „Sie bringen nicht nur das Maschinen- und Prozess-Know-how mit, auch ihr Projekt- und Qualitätsmanagement ist Weltklasse.“
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Fotos: CeQur SA, raff digital gmbh, Illustration: ilonitta/Freepik